Der Wahnsinn geht los... Psychiatrie Teil 1

22.12.2018

KAPITEL 1

7:30 - Es ist ein heißer Julimorgen im Jahr 2013. Ich sitze bereits eine Stunde im Büro, die Sonne erhitzt meinen Kopf, sodass ich einen mitgebrachten Sonnenhut aufsetze, um mir etwas Abkühlung zu verschaffen.

Seit etwa zwei Wochen erwache ich früh morgens, schweiß gebadet und klitschnass, mit unzähligen Gedankenfetzen, denen ich kaum folgen kann, im Kopf, und Unruhe und Rastlosigkeit breiten sich täglich stärker aus. Scheiß verdammter, mir geht das gehörig auf den Wecker, dieses Scheißschwitzen!

Mein kleiner Kater, der sich morgens auf meiner Brust niederlässt, was ich grundsätzlich sehr mag, beginnt mich zu nerven und ich springe schon gestresst aus dem Bett. Die morgendliche Dusche erfrischt mich kurz bis wieder diese unsägliche Hitze in mir hochsteigt. Verflucht noch mal, kommt die aus mir oder bin ich wegen der Hitze so erhitzt? Ich weiß einfach nicht, was da mit mir los ist!

Genervt und gestresst verlasse ich die Wohnung, eile ins Büro, getrieben von dem Wunsch, etwas Produktives mit meinen Fingern zu leisten. Also sitze ich am Computer, meine Finger angespannt und verkrampft, und versuche, die Tasten zum Schreiben zu bewegen. Und was machen diese Scheißfinger? Nichts! Ich kann sie einfach nicht bewegen!

Verdammt noch mal, warum kann ich meine innere Bewegung nicht auf die Tastatur übertragen? Bewegt euch doch endlich, denn ich will tun, tun, tun!

Und du Scheißhitze hör endlich auf! Die gleisende Morgensonne regt mich endlos auf. Ich versuche mich irgendwie zu beschäftigen, bis meine 2 KollegInnen neben mir im Büro ihren Dienst antreten.

Seit Tagen bemerke ich außerdem, dass mein Gehirn irgendwie abgeschaltet hat. Noch so ein Scheiß! Ich habe Schwierigkeiten, Gedankensätzen zu folgen, immer wieder tauchen Wortfetzen auf, die ich kaum in einen sinnvollen Zusammenhang bringen kann. Meine visuelle Wahrnehmung ist irgendwie getrübt und dunkel bis düster, als würde ich durch eine verschmierte Sonnenbrille schauen. Doch ich trage keine Sonnenbrille! Dieser Scheißkörper tut, was er will, das ist doch nicht möglich, dass ich einfach nicht mehr Herrin über mich selbst bin? Verdammt noch mal, verflucht!

Vor etwa einem halben Jahr habe ich erstmals so komische Zustände erlebt, doch die Beschwerden sind immer nach zwei bis drei Tagen abgeklungen und waren bei weitem nicht so intensiv wie jetzt. Herr Gott noch mal, was ist da los? Es muss doch endlich mal besser werden!

Gestern Nachmittag teilte ich meine momentane Problemlage einem Kollegen mit, zu dem ich großes Vertrauen habe. Er ist sehr empathisch und klug und ich habe gehofft, dass er mir weiter helfen könnte.

Also redete er auf mich ein, gab mir praktische Tipps zum Runter kommen und doch kamen seine Worte nicht bei mir an, auch meine innere Unruhe und Zerrissenheit besserten sich keineswegs. Scheißdreck, das habe ich noch nie erlebt, dass Worte einfach gar nicht bei mir ankommen und mich beruhigen. Irgendetwas ist da aus dem Ruder gelaufen, verdammt noch mal, wenn ich doch wüsste was!

Erlebe ich vielleicht gerade einen Drogenrausch?, Aber ich nehme doch keine Drogen bis auf Nikotin und habe auch keine Erfahrungen damit! Vielleicht werde ich verrückt?

Aber das geht doch auch nicht, schließlich arbeite ich seit vielen Jahren intensiv an mir selbst, bin professionell ausgebildet und da kann schon gar nichts passieren!

Die Angst in mir, was denn da los ist, schwillt weiter an. Allein sein erlebe ich als zunehmend bedrohlich und andauernd suche ich nach äußerer Ablenkung, denn Beschäftigung hilft vielleicht, dass ich den Wahnsinn in mir nicht mehr wahrnehme. Aber verflucht noch mal, wieso funktioniert das nicht?

Heute morgen im Büro wird mir bewusst, dass ich nicht mehr arbeitsfähig bin, weil ich weder klare Gedanken in sinnvolle Sätze verwandeln, noch meine Finger auf der Tastatur in ein annehmbares Arbeitstempo versetzen kann.

Meine junge Kollegin, die eben im Büro eingetroffen ist, informiere ich kurz über meinen Zustand und ersuche sie, meinen Vorgesetzten zu holen. Ich weiß, dass ich meine KlientInnen, ich arbeite im Sozialbereich, inhaltlich übergeben muss, bin aber völlig unfähig, eine To Do Liste zu erstellen.

Da ich ohnehin alle Fälle im Kopf habe, berichte ich, sobald mein Chef Papier und Stift zur Hand hat, Fall für Fall den Status quo. Als ich fertig bin, übergebe ich mein Handy an meinen Vorgesetzten, der mich freundlich ersucht, erst Mal nach Hause zu gehen, er würde die Weiterbetreuung meiner KlientInnen ohnehin in die Wege leiten, ich müsste mir keine Sorgen machen.

Pah, geschafft, mal sehen, ob es jetzt leichter wird! Und da springe ich schon in mein Auto und fahre die wenigen Meter nach Hause.

Als ich die Wohnung betrete, die derart düster wirkt wie eine Höhle, fährt plötzlich Panik in mir hoch! Manoman, ist die Wohnung kleiner geworden? Ich fühle mich erdrückt von der Enge hier und wer, außer meiner beiden Katzen ist noch da? Scheiße, ich muss hier raus - sofort - und schnell!

In meiner Verzweiflung rufe ich die Freundin meines jüngsten Bruders, eine Diplomkrankenschwester, die in meiner Nähe wohnt, an. Sie hatte Nachdienst und lädt mich gerne zu ihr nach Hause zum Frühstücken ein.

Mittlerweile ist es etwa 8:30, ich stürze aus der Wohnung, springe in mein Auto und habe große Mühe, mich im Straßenverkehr zurecht zu finden. Wie ferngesteuert und vor allem bremsbereit lenke ich mein Auto durch den Stadtdschungel und lande schließlich erleichtert vor ihrer Wohnung. Leider finde ich dort keinen Parkplatz, sodass ich umkehre und etwa 300 m weiter in einer Wohnsiedlung mein Auto abstelle.

Verdammt, dass Auto fahren so anstrengend sein kann, das habe ich noch nie erlebt! Gottseidank habe ich endlich das Auto geparkt, ich kann keinen Meter weiter fahren, aber ich habe es unfallfrei bis hierher geschafft, puh!

Ich zittere am ganzen Körper, bin wieder schweißgebadet, mein Herz pocht und ich schätze mich glücklich, dass ich die innerstädtische Reise erfolgreich abgeschlossen habe.

Ferngesteuert eile ich zur Wohnung meines Bruders und atme erstmals erleichtert auf, als mich meine Quasischwägerin hinein bittet. Immer noch ist alles um mich herum dunkel und komisch, ich bin sehr aufgekratzt und beunruhigt. Doch endlich bin ich nicht allein und eine medizinisch geschulte Person um mich zu haben, lässt mich erst mal aufatmen!

Der reich gedeckte Frühstückstisch sieht unglaublich einladend aus. Doch Essen kann ich einfach nicht, verflucht noch mal, wie mich das aufregt!

Seit einigen Tagen habe ich irgendwie einen verkrampften Magen, sodass ich tagsüber kaum was runter bringe. Erst abends wird das angespannte Gefühl im Magen weniger und ich verschlinge, was mir in die Quere kommt.

Während ich am Frühstückstisch sitze, versuche ich meinen Zustand irgendwie in Worte zu fassen, ich habe Angst, dass mit mir etwas gehörig nicht stimmt, während mir meine Schwägerin einfach nur zuhört. Ich hoffe, dass ihre Gegenwart meinen Zustand verbessert, doch es verändert sich gar nichts. Scheißdreck noch mal, was ist bloß mit mir los?

Angst und Panik steigen in mir hoch, ich fühle mich extrem hilflos, diese wahnsinnige Hitze steigt wieder in mir auf, sodass ich sie schließlich bitte, mich in die psychiatrische Klinik zu fahren. Sie schlägt vor, davor noch zu mir nach Hause zu fahren, um die nötigsten Sachen einzupacken und mitzunehmen. Ich finde diese Idee gut und wir starten los.

Zu Hause angekommen, suche ich wie ein verwirrtes Tier das Nötigste für den eventuellen Krankenhausaufenthalt zusammen. Meine Schwägerin weist mich genau an, was ich einpacken soll, denn ich habe Schwierigkeiten, die Dinge in der Wohnung zu finden. Meinen Mann traue ich mich vorerst telefonisch nicht zu verständigen. Statt dessen telefoniere ich mit meinem großen Halbbruder, der mir gut zuredet, aber trotz intensivem Telefoncoaching auch nicht helfen kann. Ich packe es nicht mehr, da passiert was mit mir, dass ich einfach nicht steuern kann! Verflucht noch mal, das kann nicht sein! Jetzt dreh ich wohl durch!

In der psychiatrischen Aufnahme angekommen, begleitet mich meine Schwägerin zur Anmeldung. Ich bin zwar irgendwie erleichtert, erhoffe ich mir ja seitens der Klinik Unterstützung, doch andererseits fühle ich mich als Vollversagerin. Man/frau muss schon ganz schön daneben sein, um freiwillig hier zu landen!

Seit jeher habe ich immer Riesenangst, wenn ich nur an die psychiatrische Klinik denke. Ganz egal ob ich als Besucherin oder Patientin hier her komme, für mich ist das ein Ort, der bei mir Horrorphantasien auslöst, und um den man/frau am besten eine großen Bogen macht. Und jetzt, scheiße, bin ich auf eigenen Wunsch hier, na bravo du Vollversagerin!

Meine Verzweiflung und Hilflosigkeit sind jedoch größer als das Gefühl des persönlichen Absturzes, sodass ich froh bin, als mich die Aufnahmeärzte endlich zu sich in das Dienstzimmer rufen. An das genaue Aufnahmegespräch erinnere ich mich nicht mehr, mein Kurzzeitgedächtnis ist schon seit einigen Tagen außer Gefecht.

Was immer ich von mir gebe wird notiert und schließlich entscheiden die Ärzte, dass ich stationär aufgenommen werde. Irgendwie bin ich erleichtert, befinde ich mich ja in der Hoffnung, dass diese Ärzte vielleicht wissen könnten, was mit mir los ist. Gleichzeitig bin ich aber auch über mich selbst sehr enttäuscht, denn schließlich bin ich freiwillig hier und all meine bisherigen Strategien, die mir in meinem Leben bisher zur Verfügung standen, haben versagt. Vollkoffer eben!

Endstation Psychiatrie...ab jetzt geht´s garantiert abwärts: sicherer Jobverlust, definitives Ehe-Aus, längerfristiger Wohnungsverlust und ein Leben als Obdachlose auf einer städtischen Parkbank!

Meine Abstiegskarriere saust wie Gedankenblitze durch meinen Kopf und es ist für mich klar, dass ich trotz guter psychosozialer Ausbildung, Massagen, Akkupunktur und dergleichen auf allen Ebenen versagt habe. Doch zu blöd zu allem!

Es gibt nichts mehr, was mich vor der Psychiatrie hätte bewahren können. Mein Leben ein Scherbenhaufen, ein Absturz in den Wahnsinn! Noch keine 40 Jahre alt und schon lebens-ko!

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